Ich bin eine Frau,
… also muss ich nett sein. Lieb. Nicht laut. Nicht auffällig, sondern nett. Und wenn mir etwas passiert, dann bloß nicht aufregen oder hysterisch werden.
Frau sein. Also sei nett und lach doch mal.
Wir stehen in einer vollen Bahn, es ist eng und stickig. Quetschen ist angesagt. Öffentliche Verkehrsmittel sind an den Wochenenden nicht meins. Ich laufe die Strecke dann doch lieber und brauche zehn Minuten länger, als mich mit wildfremden Menschen zum gezwungenen Kuscheln zu treffen. Aber was solls.
Nun stehen wir hier, dicht gedrängt, ohne nennenswerte Fluchtmöglichkeiten. Ich möchte mich gern mit meinem Handy ablenken und eintauchen in die Onlinewelt, aber ich käme nicht einmal an meine Tasche, ohne meinen Nachbar unsittlich zu berühren. Also muss ich wohl oder übel den Geräuschen und Gesprächen in der Bahn lauschen. Es sind ja nur 12 Minuten, jedenfalls laut Fahrplan. Was soll schon passieren. Die Türen öffnen sich und ein paar vereinzelte „Tschuldigung, hier muss ich raus“ nehme ich war, aber ich kann beim besten Willen nicht sehen wer ein- oder aussteigt. So voll ist es hier.
Du bist eine Frau. Also sei nett und lach doch mal.
Ob es den anderen auch so unangenehm ist wie mir?
Ich blicke starr nach vorn und die Menschenmasse folgt bei jeder Kurve ihrer Trägheit. Umfallen könnte ich nicht, dafür ist kein Platz. Wenn sich vorn jemand die Nase kratzt hat das bis nach hinten zu mir Auswirkungen. Und es wird auch zusätzlich auch noch lauter. Hier passiert gerade etwas, wir halten wieder an, wieder höre ich den Bahnfahrer genervt säuseln, „Alle von den Türen weg“, doch es regt sich nicht viel. Die träge Masse muss erst begreifen, dass sie hier aussteigen muss und plötzlich löst sich alles auf.
Nur ein paar einzelne Leute bleiben sitzen und stehen und hören einem Mann zu, gut gekleidet in einem akkurat auf den Leib geschneiderten blauen Zweiteiler. Er beleidigt gerade eine junge Frau, die wohl geträumt hat und ihm keinen Platz machte. Wegen ihr muss er nun eine Station mit uns allen weiterfahren. Drama. Wörter aus den Kategorien dumm bis naiv prasseln auf uns alle ein, ich muss sie selbst erst einmal einordnen.
Gerade noch Kuschelstimmung und schon steht der Kurs auf Eskalation.
„Wie schnell sich die Stimmung ändern kann, weil einer sich nicht unter Kontrolle hat“ denke ich mir. Ich schaue mir das kurz an und wie fast immer ist meine Zunge schneller als der Kopf. Gerade denke ich noch „Was für ein Spinner im feinem Zwirn, der gesegnet ist mit gutem Aussehen, aber doch auch einen scheiß Charakter in sich trägt“, da habe ich es schon Wort für Wort laut gesagt.
Er dreht sich sofort zu mir um und fixiert mich mit seinen kleinen unfreundlichen Augen. Erwischt.
Ich bitte ihn noch nett (für mein Empfinden jedenfalls), der jungen Frau nicht so zu zu setzen, weil er das in seinem Alter besser wissen müsste, da merke schon wie er seinen Groll einsammelt und sich vor mir aufbaut, um sein nächstes Opfer anzugehen.
ER brüllt es uns und vor allem mir entgegen: „Frauen müssen Anstand haben, ihn so zu betiteln zeigt doch ganz klar was ich bin und dass ich es nicht weit bringen würde, mit solch einem Schandmaul.“
Ich muss lachen und frage ihn, ob wir vielleicht verwandt seien, denn ganz sicher hätten wir das gleiche dreckige Maul. Dann wünsche ich ihm einem schlechten Tag und dass ihm sein Kragen immer ein wenig zu eng sitzt, sodass sein großes Ego auch ja immer etwas gepiesackt wird.
Ich höre den Bahnfahrer wieder säuseln „Von den Türen weg“ und nehme fix noch den kleinen Türspalt als Möglichkeit, einen lässigen Abgang aus der fast schon weiterfahrenden Bahn hinzulegen. Ich sehe mich schon als Siegerin aus dieser sinnlosen Pöbelei herausgehen und klopfe mir innerlich auf die Schulter. Immerhin habe ich ihm Paroli geboten und eine junge Frau verteidigt. Ich bin kurz etwas stolz auf meine Schlagfertigkeit, will mir darauf noch einen Kaffee gönnen und meinen verbalen Schlagabtausch auch mit meinen Freunden teilen, da bleibt vor mir eine Frau stehen, die mit mir den Sprung aus der Bahn geschafft hat.
„Dieses Benehmen gehört sich als Frau nicht.“
So schnell wie sie vor mir auftauchte verschwand sie auch wieder, und lässt mich mit diesem Satz allein am Hauptbahnhof stehen. Ich muss schlucken. Ich grüble und gehe die Fakten gedanklich noch einmal schnell durch.
Eine Frau wird beleidigt und emotional in die Ecke gedrängt.
Ich begegne diesem Mann auf seinem Niveau.
Ich bekomme zu hören, dass es sich als Frau nicht gehört so zu reagieren.
Ich kann damit nicht umgehen.
Sei Nett, sei lieb, sei dankbar. Höre zu, nimm es hin, schau weg. Auf einmal habe ich ein schlechtes Gewissen. War es doch zu viel? Hätte ich mich raushalten müssen? Die Klappe lieber halten? Es schüttelt mich. Bis jetzt habe ich keine passende Antwort auf diese Situation.
Ein Arschloch kann sowohl Mann, als auch Frau sein…. dürfen, darf es keine(r) von Beiden. Nur werden sich Menschen, wie dieses männliche A…loch genau deshalb weiter so benehmen, so lange Frauen , wie die mit dir Ausgestiegene so reagieren. Da habe ich sofort einen Hals und bin nur froh und dankbar, dass und wie DU gekontert hast 👏 Ein grober Klotz reagiert nur auf einen groben Keil und nicht auf rosa Wattebällchen. Also mach Dir über DEINE Reaktion keine Gedanken…. you made my day…. das nenne ich Zivilcourage👌
Tolle Reaktion! Dafür bewundere ich dich.
Absolut richtige Reaktion! Hab mich wiedererkannt, ich reagiere auch erst und denke danach manchmal ob es richtig war was zu sagen… aber ja ist es! Weiter so!!!!!