Kolumne

Miss Spießigkeit – wie ich auszog um einzuziehen und spießig zu werden

11. Februar 2018 von

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Ich stehe vor weißen Fliesen. Länglich, quadratisch, schön. Ich streife mit den Fingerspitzen über die angerauten Kanten und finde diesen Moment einfach nur wunderbar. Ich suche mir etwas für meine vier Wände aus, das ich unglaublich ansprechend finde. Ich gehe mit einem Lächeln aus dem Laden und verpasse mein Viertel der Drehtür ganze drei Mal, weil ich mich innerliche so freue. Ich steige in die Bahn ein und grinse vor mich hin. Die Fahrt dauert, ich tippe meiner Freundin eine freudige Nachricht: Ich habe ihn, den Fliesenspiegel meines Lebens. Sofort kommt ein Herz zurück und die Message: Das müssen wir feiern.

Spießigkeit Spießertum Hilfe ich werde erwachsen und du?

 

Stop. An diesem Punkt müsste ich aufschrecken und mich peinlich berühmt umschauen um hoffentlich festzustellen, dass ja niemand diese absolut spießige und sinnlose Konversation mitbekommen hat. Ich habe mich gerade über zwei Stunden lang damit beschäftigt, die passenden Fliesen zu meiner neuen Küche auszusuchen. Ich bin freudestrahlend nach Hause gefahren mit der Gewissheit, dass das eine hammermäßige Küche wird. Mein fünf Jahre jüngeres Ich würde mich auslachen, von Herzen laut und sich nicht mehr einkriegen vor lauter Spießigkeit. Da stehe ich angezogen, so erwachsen und erkenne mich und meine Gedanken selbst kaum wieder. Früher hätte ich anstoßen wollen auf meine Abschlussarbeit, auf ein neues Projekt, auf die erste Designernhandtasche. Jetzt sind es Fliesen. Genauer gesagt ein Fliesenspiegel in creme weiß, mit abgerundeten Ecken und weiße Fugen. Die sind schwieriger sauber zuhalten, aber dafür im Gesamtbild schöner anzusehen.

Dass ich das weiß und mir selbst auch noch erzähle lässt mich noch mehr an mir zweifeln. Ich scrolle aus einem Reflex heraus meinen Instagram Feed durch und wünsche mir nur einen Menschen, der kurz seine Küche postet und etwas ganz stinknormales zu erzählen hat. Fehlanzeige. Urlaube, Sandstrand, Handtaschen, Kaffee, Palmen, Bali, Kapstadt, Bikinis. Wo sind die verdammten Küchen!!! Mag ich all diese Inspirationen? Ja, aber gerade bräuchte ich viel mehr eine moralische Stütze: So ein Bild wie „Hey, meine erste Küche“ und „Ich habe mir diese Steinplatte ausgesucht“. Oder „Hey, ich habe heute Wäsche gewaschen“ oder „Hey, die Sonne scheint in Castrop-Rauxel“.

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Nichts da. Ich fühle mich allein mit meinem Spießertum, schließe hinter mir die Tür und wünsche mir kurz wieder mein altes Ich zurück. Die die gern im Chaos gelebt hat, die die gern zu spät kam, die die nicht wusste was Finanzamt beutetet, die die gern ausging, sich keine Sorgen machte und sich mehr über Gucci Gang und Chanel freute, als über „Villeroy & Boch® seit 1748“. Ich fühle mich kurz alt, ausgegrenzt und langweilig. Worüber sollte ich noch sprechen, außer über Fliesenspiegel? Mein früheres Ich war viel interessanter, spontaner und lässiger.

Bei diesem Gedanken muss ich dann doch kurz lachen. Als ob. Ich verkläre Dinge gern, die lange genug her sind und von weitem gut aussehen, sich aber bei näherer Betrachtung nie so angefühlt haben. Das Zuspätkommen war mir immer peinlich, die Designertaschen viel zu teuer um gerade noch die Miete zu zahlen, die Spontanität ging oft zu Lasten von Zeit und guter Laune. Das Finanzamt war der Alptraum bis ich verstand, dass ich manche Dinge auch einfacher haben kann. Ich könnte mich organisieren, Geld sparen, Gedanken sammeln, Termine sinnvoll legen und mir einmal eine Auszeit gönnen. Mein Ich von damals war unruhig und gehetzt vom Glauben mithalten zu können, bei den ewigen Dingen online wie auch offline.

Und jetzt? Ich lege selbst fest was mir gefällt oder nicht. Ich bin mehr bei mir, zwar immer noch auf der Suche, aber nicht so zwanghaft, dass mich Palmen und Sand- und Strandbilder bei anderen dazu animieren, alles stehen und liegen zu lassen und Urlaub zu machen- Weil andere es auch tun. Jetzt stehe ich gern früh auf, arbeite am Blog und an der Wohnung. Es gefällt mir.

Wieso muss es immer so spießig sein, das eigene Leben auf die Reihe zu kriegen? Vielleicht weil man so selten noch über wirklich große Probleme stolpert, in Dramen verfällt und sich irgendwann alles einpegelt? Vielleicht weil niemand uns erzählt, dass der Alltag nicht schlimm ist, dein selbst gewählter Alltag zu dir passt und du ihn nie mit früher und den anderen vergleichen sollst.

Das klingt logisch, als ich es meiner Freundin bei einem Glas Wein erzähle. Wir sind gleich alt, sie baut ein Haus. Eigentlich ist sie noch mehr Spießerin als ich. Aber dafür mag ich sie um so mehr. Willkommen im Spießerleben, hier ist es gar nicht so schlimm, gar nicht so anders.


Off Thoughts: Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so gesattelt mein leben angehe. Ich war immer chaotisch, wirr und lieber unterwegs. Stillstand hat mir Angst bereitet, ich habe mich immer davor gefürchtet irgendwann als Hausfrau und kochende Mutti zu enden. Das Gute ist, ich kann bis heute nicht sonderlich kochen, aber ich will trotzdem nach Hause kommen und mich wohlfühlen. Ich brauche einen Rückzugsort. Das muss ja nicht gleich heißen, dass ich hinter dem Herd lande und nichts anderes mehr tun kann oder darf. Es hat gedauert, den kleinen aber feinen Unterschied zu lernen, zwischen dem Erwachsenwerden und dem Übernehmen von Verantwortung, ohne rigoros in einem Klischee verloren zu gehen. Aber wenn das, was ich mir jetzt wünsche und denke spießig ist, dann bin ich es gern.

 

Miss Spießigkeit – wie ich auszog um einzuziehen und spießig zu werden

Kommentare

Bisher 7 Kommentare zu “Miss Spießigkeit – wie ich auszog um einzuziehen und spießig zu werden”

  1. Bianca sagt:

    Ich glaube ja, dass es einfach darauf ankommt, ob wir uns in dieses „Spießig“-Klischee drängen lassen. Nur weil irgendjemand irgendwann mal definiert hat, was spießig ist und was nicht, glaube ich nicht daran. Und es ist ja wirklich erwiesen, dass wir uns in diesen turbulenten Zeiten nach mehr „Häuslichkeit“ sehnen 🙂 Von daher bin ich gerne „spießig“ …

    • Franzi sagt:

      Absolut. Ich schreibe solche Texte auch aus einem kurzen Gefühl heraus und manchmal übernimmt dann dieses „ist das schon alles“ Gefühl die Kontrolle. Ich bin auch gern spießig, musste das aber erst lernen mir selbst einzugestehen.

      Alles Liebe

  2. Nadine sagt:

    Ich bin auch wunderbar spießig und wohne mit meinem Ehemann und unserer Tochter in einem Reihenhaus am Stadtrand. Mein früheres Ich würde mich auslachen, denn dort wollte ich nie wohnen, sondern in einem schicken Loft in der Innenstadt. Zeiten ändern sich und ich habe gern Autolärm, Hektik und Abgase gegen Ruhe, Grünanlagen und frische Luft getauscht.
    Das Schöne am Erwachsenwerden ist, dass man selbst bestimmt, wie man sein Leben gestaltet. Ich blättere gern durch Mode- UND durch Wohnzeitschriften und könnte mir nicht vorstellen, „nur“ Hausfrau zu sein, obwohl ich Mutter bin. Meine Spießigkeit fühlt sich wirklich großartig an.

  3. Lisa sagt:

    Hallo Franzi,

    ich muss jetzt mal ehrlich sagen, dass man, nur weil man sein Leben im Griff hat, umzieht, vielleicht sogar ein Haus baut, sich eine Küche, ein Badezimmer, ein Bett o.ä. aussucht, noch lange nicht spießig ist. Den Vergleich find ich jetzt schon ein bisschen hart. Es ist doch nunmal so dass das Leben nicht nur aus Designerhandtaschen, Urlaub, Klamotten und Cremés bestehen kann, oder? Und nur weil man nach Hause kommt, zu Hause ist, sich morgens mal nicht schminkt, weil man keine Lust hat oder man zum Baumarkt läuft, sich ein neues Kabel für die geliebte Stehlampe kauft, welche der Hund verbissen hat, dann ist das noch lange nicht mit Spießigkeit verbunden.

    Ich bin ehrlich. Ich habe mit 19 Jahren zusammen mit meinem damaligen Freund ein eigenes Haus gebaut. Nicht mit einer Baufirma o.ä. Nein, wir haben es allein gebaut. Das bedeutet 8 Stunden arbeiten und danach 4 Stunden Baustelle.
    Heute bin ich 23 Jahre alt, weiß genau wie man Wände verspachtelt, ein Abwasserrohr verlegt und einen Estrich aussucht. Wenn ich meine Freunde in diesem Alter anschaue und ihnen das erzähle, schauen sie mich entgeistert an und erzählen dann von ihren langen Partynächten, Alkoholexzessen und Urlaub.
    Habe ich was verpasst? Niemals.
    Ich bin stolz auf das was ich jetzt weiß. Natürlich habe ich keine Nächte in dieser Zeit durchgefeiert, aber das muss doch jeder für sich entscheiden, was er jetzt möchte.
    Und ich finde mich überhaupt nicht spießig. Und auch niemand anderen der gerne ein Haus baut oder umzieht und Zeit in seine Wohnungsplanung steckt. Das zeugt eher vom Erwachsensein und wie schon gesagt „sein Leben im Griff haben“. Und das egal in welchem Alter.

    Liebe Grüße
    deine Lisa

    • Franzi sagt:

      Liebe Lisa! Oh du ich wollte dir nicht auf den Schlips treten. Ich schreibe hier nur von meinen Gefühlen und die können manchmal einen kräftigen Satz machen. Das ist am Ende nie alles so schlimm, so dramatisch oder spießig. Aber für den Moment, in dem das Gefühl auftaucht eben doch so intensiv, dass ich es aufschreiben muss. Dieses Gefühl ist bei mir aber viel stärker ausgeprägt, weil ich nie der Typ war: haus bauen und sich sofort finden. Wie ich auch im Text erklärt habe, war ich ein reinstes Chaoskind und habe mich mit diesem Stempel gar nicht so unwohl gefühlt. Daher kann ich verstehen, wenn es auf dich seltsam bis befremdlich wirkt, wenn dein Lebensentwurf in mir den Drang weckt, es spießig zu nennen. Aber das nur aus dem Grund heraus, weil ich das Leben so nie kannte. Was man nicht kennt, macht einem Angst. Aber am Ende wird ja alles gut. Auch hier im Text und bei mir 🙂
      Alles Liebe

  4. modefan2 sagt:

    Das Outfit sieht super aus! Und eine echt tolle Farbe das Oberteil. Schöner Kontrast zur Jeans. Eine Freundin von mir führt auch einen Modeblog und möchte jetzt offiziell Modedesigner werden, weil sie es liebt zu Nähen und zu Modellieren und gerne selbst Kollektionen machen will. Könnte ich mir bei dir auch sehr gut vorstellen 🙂

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