„Also ihr Influencer, das klingt ja wie ne Krankheit für mich -sie grinst und ich muss mein Augenverdrehen stark unterdrücken- ich finde ja, ihr zeigt zwar die schöne heile Welt, aber was ist denn bitte mit dem echten Leben? Mit Periodenschmerzen oder einer dreckigen Wohnung?! Den echten alltäglichen Problemen? Solltest du nicht darüber sprechen, als über dieses ganze andere Zeugs?“
Gut, wie antworte ich auf eine Standardfrage, die ich immer wieder mal nett gemeint oder mal zynisch formuliert gestellt bekomme? Ich überlege kurz, ob sich ein wirklich ehrliches Gespräch lohnt, denn oft genug sitzt mir jemand gegenüber der gar nicht mehr wissen möchte oder gar eine richtige Antwort von mir hören möchte. Aber ich versuche mein Glück.
Darf ich dich im Gegenzug auch etwas fragen:
„Wie oft sprichst du mit fremden Menschen auf der Arbeit oder auf der Straße über deine Periode? Wie oft antwortest du auf die höfliche Frage ‘Wie geht es dir?’ vor einer größeren Gruppe mit ’Nicht so gut, weil… ich bin verletzt… ich fühle mich nicht gut?’“
„Wie oft sprichst du mit deinen Freunden, der Familie oder den Bekannten über politische Themen? Wie oft hinterfragst du dein eigenes Handeln im Alltag?“
Wir alle haben eine Verantwortung, die darauf basiert sich so zu benehmen wie man selbst behandelt werden möchte. Heute weiß ich, dass manche Menschen nicht über ihre Probleme oder Leiden sprechen möchten. Dass es Dinge gibt, die man erst einmal mit sich selbst ausmachen muss und dann kann man sich öffnen.
Es gibt Dinge, die sind einfach keine Probleme für mich oder eine Erwähnung wert, weil sie jeder macht, weil sie jeder hat oder weil sie jeden betreffen.
Wieso sollte ich euch erzählen, wann und wie ich Regelschmerzen habe, wenn ich schon seit meiner Teenagerzeit damit lebe? Wieso sollte ich die chaotische Wohnung filmen, wenn es doch jedem einmal so geht? Wieso sollte ich daraus ein Problem machen, meine Launen erklären und andere auffordern es mir gleich zu tun?
Wieso glaube ich als Konsument, dass es denen dort bei Instagram viel zu gut geht und, dass das alles doch gar nicht echt sein kann?
Es soll ja Menschen geben die sich erst dann aufregen, wenn sie ein ernstes Problem erkennen, das uns alle betreffen könnte. Aber es soll auch Menschen geben die sich hüten Meinungen ins Netz zu stellen, weil sie sich nicht trauen oder zu wenig darüber wissen, und weil andere dann immer gern alles auseinandernehmen, weil es bei der Meinung online oft nur schwarz oder weiß gibt.
Halten wir fest. Im Jahr 2019 müssen wir begreifen, dass das Leben online einfach ein Teil oder ein gewollter Ausschnitt eines geplanten Parts aus dem Leben einer fremden Person ist. Es wird bewusst gefilmt, bearbeitet und hochgeladen. Spontanität kommt eher selten vor. Ich gehe jetzt einfach von mir aus: Ich entscheide für mich ganz bewusst, was online geht. Ich habe festgestellt, dass wenn ich zu unbedacht poste und mit den Menschen alles teile, kann sich das für mich und mein Umfeld negativ auswirken.
Ich rede nicht von Kritik, Austausch und anderen Meinungen-
Viel mehr von sehr harten Worten, Vorurteilen, Beleidigungen und immer wieder sehr nervenaufreibenden Chatverläufen. Denn wenn online eins ganz gut funktioniert, dann ist es andere in die Ecke zu treiben, auf einer viel zu persönlichen Ebene zu diskutieren oder andere Meinungen gar nicht erst zuzulassen.
Das Schöne wiederum, das leichte Leben, gefällt vielen.
Das eckt nicht an, das findet Anklang und es bringt mich selbst dazu, auch wieder an schöne Dinge zu denken und das Schöne im mich herum zuerkennen. Das heißt aber nicht, dass ich die schlechten Tage nicht zulasse oder so tue, als gäbe es sie nicht. Wenn ich mein Leben betrachte dann weiß ich einfach, dass ich privilegiert bin und ich meine Periode oder einen unaufgeräumten Stuhl weder als Problem noch als die harte Realität ansehe. Das ist Alltag, den haben alle. Müssen wir ihn uns dann auch noch online durchkauen?
Wenn ich sehe was gerade wirklich weltweit passiert, muss ich über mich und meine Nörgelein lachen und kann sie noch weniger als echte Probleme erkennen. Genau deshalb stelle ich das nicht online, weil es in meinen Augen kein Problem ist. Mein Problem ist gerade viel mehr, wo wir uns gerade politisch hinbewegen und wer immer noch leiden muss, damit es uns gut geht. Aber darüber lässt sich selten online mal schnell quatschen. Das bedarf Zeit, die ich mir dafür offline immer mehr nehmen kann. Da fühle ich mich wohler wenn ich mich erklären kann und mich nicht nur erkläre, weil das online viel echter wirkt.
Aber sage mir doch:
Du als Nichtinfluencer, das klingt für mich wie ein ganz normaler Begriff, sprichst du mit deinen Kunden über deine Periodenschmerzen, oder über die Afd, oder brauchst du für dich und deine Gedanken auch einen gewissen Raum und auch einen gewissen Schutz? Entscheidest du nicht lieber selbst was du von dir zeigst und hast du auch offline ein Leben, das andere nie sehen werden, weil es nicht 24 Stunden online war und dennoch existiert?
Ich hoffe, ich konnte dir deine Frage beantworten.
Schon beim Lesen der ersten Zeilen musste ich direkt schmunzeln. Toll Franzi, du sprichst mir aus der Seele! 🙏
Als dieser Hashtag #fürmehrrealitätaufinstagram aufkam, hab ich mich davon schnell distanziert. Vom Grundsatz toll, aber wie sich einige Personen unter diesem Hashtag präsentierten ging meiner Auffasung nach wirklich zu weit. Und das will jemand sehen, fragte ich mich. Bin ich denn die Einzige, die es nicht abfeiert und stattdessen aus Scham für Andere die Hände vor die Augen hält.. 🤦🏼♀️
Was wir doch viel mehr wollen ist Inspiration. Erweiterung unseres Kosmos zu Themen die uns fesseln. Zumindest gefällt mir persönlich diese Art des Influencen viel besser. 😍
Liebe Grüße aus Hamburg
xx Annegret
Hallo du Liebe! Ja ich verstehe dich, weiß aber auch da hat jeder seine ganz eigenen Grenzen und dieses Bewusstsein wäre einfach klasse. Ich schaue mir viele Sachen einfach nicht an, weil es mir nichts gibt. Ich verurteile es aber auch nicht. Ich will dann aber auch nicht dazu gedrängt werden, mehr zu zeigen oder das was als echt gewertet wird, weil ich dadurch auf eine bestimmte Gruppe Menschen echter wirken würde. Alles Liebe
Hallo Franzi, ich finde deine Gegenfragen sehr gut. Wenn ich online gehe, habe ich Freizeit und möchte positive Energie und neue Inspiration sammeln. Einmal bin ich beim Surfen zufällig auf ein Foto eines verletzten Tieres gestoßen und ich war so verstört, dass ich sofort weinen musste (an diesem Tag war ich sehr emotional). Eigentlich hatte ich nur die Schlagzeilen des Tages gegooglet und in der Übersicht war dann leider besagtes Foto zu sehen. Seitdem mag ich keine Nachrichten mehr und by the way: Warum zeigen die TV-News immer nur negatives Zeug? Als ob die Welt nur schlecht wäre! Jedenfalls könntest du den Personen, die dich indirekt fragen, warum du so frech bist als erwachsene Frau schon deine eigenen Entscheidungen zu treffen, antworten, dass sie doch einfach selbst einen Blog mit mehr „Reality“ eröffnen können, den dann garantiert alle lesen werden. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag!