Kolumne

Manchmal muss man die Orchidee einfach ertränken

17. Januar 2018 von

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Ich sitze unruhig auf meinem Stuhl, einem Metallstuhl mit Lederschnallen. Vielleicht soll er mich, wenn es hart auf hart kommt, davon abhalten zu fliehen. Vor dem was hinter einer Glastür passiert, geschützt durch einen milchigen Einsatz. Trotzdem kann ich die Schatten sehen, die später alles entscheiden werden. Wieder so eine Sache die ich nicht verstehe.

Manchmal muss man die Orchidee einfach ertränken

Wer wartet schon gern auf ein Urteil, ein nettes Wort oder das „Wir melden uns bei Ihnen“ auf einem unbequemen Stuhl mit vermeintlicher Fesseloption, während direkt vor dir fremde Schatten in einem kleinen, hellerleuchteten Raum umherlaufen. Herzlichen Glückwunsch. Ich sitze bei meinem ersten Bewerbungsgespräch als Bloggerin für… ja, für was eigentlich? Mir fällt gerade selbst nicht mehr ein was ich kann und warum zum Teufel ich hier bin. Ich blicke auf meine Schuhe, eine ältere Generation eines Designerlabels. Ob das ein Fehler war? Hätte ich doch noch einmal ein halbes Gehalt in ein paar Schuhe investieren sollen, um hier mehr zu glänzen? Ob es jemals eine Frau gegeben hat, die nach einem erfolgreichen Abschluss zu sich sagte: „Gut, dass ich diesen Batzen Geld in diese filigranen Pumps investiert habe, mit denen ich auf keinem einzigen Gehweg laufen kann, weil sie dann sofort ruiniert wären. Aber hey, ich habe den Job.“

Mir fällt spontan niemand ein.  Danke, ihr Superwoman Ladies dort draußen. Das hätte ich jetzt doch gern gewusst. Selbst Google verrät mir darüber mal wieder nichts. Ich starre weiter auf meine Schuhe und überlege noch schnell per Express zu bestellen. Hier her, direkt an die Rezeption zu der netten älteren Dame. Vielleicht wäre ich dann die erste Frau die darüber schreiben könnte?

„Schlagzeile! Mit diesen unglaublich überteuerten Slingpumps schnappte sie sich erst diesen Job und danach die ganze Welt!“

Meine Gedanken werden von einem kleinen „Hallo“ unterbrochen. Es tritt wohl die Konkurrenz herein. Ich scheine an diesem Tag nicht die einzige Bewerberin zu sein in diesem winzigen Raum. Und was soll ich sagen. Verdammt, sie trägt die schöneren Schuhe. Ich starre vor mich hin, die Bluse wird gerade drei Nummern kleiner, mein Herz überschlägt sich. Wunderbar. ich habe mich direkt in die Nervosität gegrübelt. Und meine Konkurrenz gibt mir den letzten Rest. Style? Ja! Haare? Bitte, wie kann sie volle braune gelockte Haare haben, die sich direkt ganz weich auf die Schulter legen, um ihren markanten Gesichtszügen den letzten Schliff zu geben?

Dieser verdammte „So bin ich heute einfach aufgewacht Look“ 

Passiert mir leider nie! Mein Selbstvertrauen hat soeben diesen winzigen Raum verlassen. Nicht einmal verabschiedet hat es sich. Es war einfach weg. Bestimmt weil meine Schuhwahl heute morgen wieder spontan ausfiel. Hätte ich mich besser vorbereiten können? Bestimmt. Ich halte es fast nicht mehr mit mir selbst aus und muss meinen unbequemen Stuhl verlassen. Damentoilette. Die Notausgangslösung, immer wenn es unangenehm wird. Wo andere sich gut zureden und schnell wieder die Fassung finden, denke ich mir „Du kannst auch einfach abhauen.“ Einfach vor den Spiegel stellen, völlig verzweifeln und all diese blöden Ratgeber verteufeln mit Überschriften wie „Glaube an dich, du bist toll, bla bla“. Als ob ihr schon einmal wirklich einfach so verzweifelt seid. Wenn ja würdet ihr nicht so einen Mist zusammenschreiben.

Hey ihr Lebensmotivationstexter: „Glaube an dich“ funktioniert nicht. Danke dafür.

Die Lösung. Was willst du hier? Geh, du hast keine Chance, du solltest jetzt einfach abhauen. Denk dir etwas aus. Dir ist schlecht, du hast hier auf der Toilette zwischen Orchideen und pinker herzförmiger Seife -Gott, was für ein Klischee WC ist das bitte- einfach einen neuen Lebensplan entwickelt und möchtest die Natur und Pilzarten erforschen. Du hast das kapitalistische System durchschaut und bemerkt, nicht mir mir! Ahaaa nein, kein neues Paar Schuhe mehr für zu viel Geld. Geh da jetzt raus und verschwinde.

Ich verlasse die Damentoilette, die hinsichtlich des bestimmt gut gemeinten Einrichtungsstils wirklich einmal überdacht werden sollte, werde sofort erwischt und in den Raum gebeten, den ich vorher gefühlt Stunden durchstarrt habe. Verdammt. Wie war das: „Pilzfarm, Welt retten, keine neuen Schuhe kaufen“. Ich gebe nach, trete einfach ein und werde mich meinem Schicksal ergeben.

Zwei Stunden später stehe ich wieder vor dem Spiegel und starre zusammen mit dieser unglaublich penetranten Orchidee neben mir einfach in ihn hinein. Als ob ich jemanden suchen würde, den ich noch nicht kenne. Die Tür geht auf, die wunderschöne Konkurrenz tritt ein und gratuliert mir zu meinem neuen Job. „Ich wusste als ich dich gesehen habe sofort, dass ich keine Chance hatte. Und tolle Schuhe, woher sind die?“

Ich muss lachen. Erst innerlich und dann laut. Meine wunderschöne Konkurrenz versteht mein Verhalten  logischerweise nicht und ich erkläre es ihr kurz. Wir beschließen noch einen Kaffee zu trinken und die Orchidee heimlich zu ertränken.

Kommentare

Bisher 12 Kommentare zu “Manchmal muss man die Orchidee einfach ertränken”

  1. LIsa sagt:

    Schöner Text! Da merkt man doch mal wieder, dass wir alle irgendwie die gleichen Unsicherheiten haben und das andere manchmal genau so wenig an sich selbst glauben wie wir selbst an uns.

  2. Thomas sagt:

    … neue schuhe haben zumeist noch nicht den wohlfühlstatus für die füße erlangt und der unausweichliche druck zeichnet sich synchron in der mimik ab, verzagtes lächeln ist die magere ernte – also doch lieber zum bewährten büstenformer und zu schuhen tendieren, die lauferprobt sind, dann hat frau im wahrsten sinne des wortes das richtige AUFTRETEN … und geht wie franzi als siegerin von dannen – smile – irgendein thomas

  3. Lea sagt:

    Ein sehr sehr treffender Artikel, danke dafür. Besonders hat es mir gefallen, dass die beiden Konkurrentinnen am Ende zusammen Kaffee trinken gehen 🙂

  4. Katharina sagt:

    Du hast eine Situation, die ich nur zu gut kenne, wirklich humorvoll umschrieben. Genauso geht es mir übrigens vor mündlichen Prüfungen oder wenn ich eine Präsentation halten muss. Vielleicht kann ich ja beim nächsten mal -Dank Dir – auch darüber lachen.

  5. Katharina sagt:

    Wow Franzi, das ist mein liebster Beitrag von dir in der letzten Zeit!
    Herrlich ehrlich, erfrischend und super amüsant <3 Durch deinen Schreibstil kann man sich einfach so gut vorstellen, wie du dich in dieser Situation gefühlt hast und glaube mir, du bist damit nicht allein! Jeder von uns erfährt solche Situation hin und wieder und vorbereiten kann man sich nie wirklich darauf.
    Aber hey, fürs nächste mal kannst du auf eine positive Erfahrung zurückgreifen.
    Herzlichen Glückwunsch also zu deinem Job
    Liebste Grüße
    Katharina

  6. Iris sagt:

    Da sieht man mal wieder, dass einem manchmal das eigene Urteilsvermögen ganz schön Streiche spielen kann, und das am Ende alles halb so schlimm ist, wie man es sich selbst eingeredet hat! 🙂

  7. Mara sagt:

    Solche Situationen triggern in einem gefühlt auch immer nur die schlimmsten Gedanken über einen selbst und hinterher zeigt sich, dass man doch gar nicht so falsch ist..
    Ich kenne das nur zu gut, lediglich sind meine Konkurrenten im Vorstellungsgespräch meist unsichtbar. Wenn ich dann dort auf diesen unbequemen Stühlen saß, warum sind die immer so schrecklich ungemütlich, habe ich mich auch schon eine Vielzahl an unsinnigen Dingen gefragt.. ob meine Bluse zu eng sitzt, mein Lippenstift zu auffällig ist und meine Schuhe zu alt.. über meine mangelnde Eloquenz und Erfahrung ganz zu schweigen und meist schnitt ich dann gar nicht so schlecht ab.. schön wie humorvoll du diese nervenaufreibende Situation beschreibst!

  8. […] Blogger müssen mal zum Vorstellungsgespräch. Franzi von zukkermädchen berichtet ganz auf ihre Art und Weise von diesem […]

  9. Marion sagt:

    Das kenne ich auch. Wie oft hatte ich schon das Gefühl, mit einem Outfit alles verpatzt zu haben. Und man nimmt dieses Gefühl in so einer Situation richtig ernst. Aber meist lacht man hinterher wieder darüber, weil man dann doch merkt, dass alles nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird.

    Liebe Grüße und einen schönen Abend, Marion <3

    https://barbarellaxo.tumblr.com

  10. Ach wie cool ist dieser Text denn bitte 😀 Herzlichen Dank fürs Teilhaben lassen an deinen Gedanken – sehr schön geschrieben und zugeben müssen wir doch alle, dass wir uns mit der richtigen Schuhwahl einfach deutlich besser fühlen, auch wenn die meisten um uns herum noch nicht einmal mitbekommen, welche Schuhe wir überhaupt tragen..

  11. Anni sagt:

    Und wo arbeitest du jetzt bzw. welche richtung. Ich denke du nennst sicher das unternehmen nicht. 🙂
    Ich mache mir persönlich nie gedanken über andere. Ich weiß was ich kann und zweifle an mir nicht. 🙂

    • Franzi sagt:

      Nie und immer? Ok dann solltest du ein Buch schreiben. Ich bin Mensch mit Ecken und Kanten und Zweifeln. Das kann ich nicht immer abschlaten. Aber dann entstehen auch solche Texte, die anderen auch helfen können. Alles Liebe dir.

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