Es klingelt. Ich habe das Gefühl, dass es etwas ganz dringendes ist. Auch wenn ein Klingelton sich nicht der Gefühlslage anpassen kann, wäre das mal eine kluge Sache.
„Hallo Mr. Apple, ich habe die Idee, ruf mich gern an und danke mir später.“ So wüsste ich gleich was mich erwartet bevor ich rangehe. In diesem Fall wäre es eine laute Sirene, die völlig aufgelöst in den Hörer spricht.
Ich verstehe nur „…du musst herkommen…der Arsch…dachte ich bin wie gemacht für diese Stelle…!“ und sie legt auf.
Ich schnappe mir meinen Mantel, die Flasche Sekt die wir eh schon lange zusammen öffnen wollten, und sprinte lieber zur Bahn. Wenn ich jetzt erst noch meine 10.000 Schritte am Tag absolviere, wird sie mich killen. Zu Recht. Dicker Hintern ist ok, fertige Freundin nicht. Faustregel in der Bahn aufgestellt: Wenn es dringend ist, hat die Schrittzähler-App eben Pech, und die Stadtstraßenbahn einen Gast mehr hat. Gleich in unseren Chat getippt. Vielleicht muss sie ja lachen? Nichts kommt zurück, nur Schweigen. Nicht gut, denke ich mir und wippe mit dem Fuß auf dem doch sehr gepflegten Straßenbahnboden. Kleinstädte, hier herrscht eben noch Ordnung.
Ich stehe und starre unruhig vor mich hin, der Bahnfahrer soll es merken und Gas geben.
Ich erreiche ihre Haltestelle und mit einem Satz stehe ich vor ihrer Tür, die rote. Wie passend! Wie viele Dramen wir hier schon überstanden haben? Dies wird Nummer 12 werden. Ich drücke zaghaft die Klingel, sie macht mir verheult auf und ich drücke sie. Sehr fest, denn ich weiß worum es ihr gerade geht. Sie war mutig, das erste Mal so richtig, hat sich ins Zeug gelegt, gezeigt was sie kann und es wurde nicht honoriert.
Auch wenn wir älter werden, müssen wir uns immer wieder zwingen uns aus der Komfortzone zu bewegen. In ihrem Fall hieß das sich endlich auf den Job zu bewerben, den sie sich immer für sich gewünscht hatte. Sie hat ihn sich erträumt, aber sich kaum getraut es auszusprechen- bis sie es dann endlich wagte und erst einmal verlor.
So ist das eben wenn man etwas Neues wagt: Es geht nicht immer sofort gut.
An diesem Tag scheißen wir beide auf die großartige und richtige Kalenderlogik. Wir heulen einfach und verfluchen die Welt und ihre Ungerechtigkeit. Wir essen ungesundes Zeug, der Pizzabote will bei unserem Anblick lieber kein Trinkgeld und wir werden erst am späten Abend in ihrer der abgedunkelten Wohnung ruhiger und klarer in unseren Gedanken. Wir wissen beide, dass es das noch nicht war. Es war nur ein Versuch und wir sind beide diese Art von Menschen, die es selten beim ersten Anlauf schaffen.
Wir müssen immer weitermachen.
Ich denke da an meine erste verpatzte Fahrprüfung, weil ich zu schnell abgebogen bin, kurz bevor ich alles mit Bravour bestanden hatte; Sie an ihre mündliche Abiprüfung, bei der sie einfach vergessen hatte zu sprechen, 15 Minuten lang schwieg und deswegen noch in die Nachprüfung musste.
Aber sonst hätten wir uns hier nie im Leben kennengelernt, sonst hätte sie nicht den Mann fürs Leben getroffen und sonst würde sie immer noch davon träumen, sich irgendwann zu bewerben. Die erste Bewerbung war es, aber wir wissen, dass es nicht die letzte gewesen sein wird. Wir schauen uns alles noch einmal genau an und kommen zu dem Schluss, dass es gut so war. Sie wusste weder mehr über die Firma, noch wollte sie täglich wirklich 100 Kilometer fahren. Sie wollte auch die Schulungen nicht selbst bezahlen und so schreckliche Kostüme tragen, wie die in dem großen gläsernen Gebäude und mit kaltem Kaffee in der Hand. Gut so. Das wird schon, ich weiß ja was sie kann, und sie kann sich nach dem Abend auch wieder erinnern.
Es kann auch dich erwischen, nach ein paar Jahren im Berufsleben oder ganz und gar gleich am Anfang: Du wirst abgelehnt und erhältst eine Absage. Das ist `ne richtig miese Nummer, vor allem für das eigene Selbstwertgefühl. Aber als Frau dürfen wir auch davon ausgehen, dass es nicht an der Qualifikation oder an uns als Person liegen muss.
Es passt manchmal einfach nicht. Es soll manchmal einfach nicht sein.
Was wir an dem Abend beschlossen haben? Wir wollen mit Absagen und negativen Erfahrungen anders umgehen. Wir haben an diesem Abend nur drei Dinge getan:
Unsere Emotionen in den eigenen vier Wänden herausgelassen,
eine nette Dankesmail an die Firma geschickt,
und überlegt, woran es gelegen haben könnte- ohne dabei sinnlose Fehler durchzukauen.
Zwei Wochen später hatte sie nach fünf Bewerbungen und drei Gesprächen die Aussicht auf gleich zwei neue Stellen. Ich bin gespannt und wir haben den Sektvorrat wieder aufgestockt. Wir können ja nie wissen wann uns Drama Nummer 13 bevorsteht.
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