Kolumne

Sei stolz auf dich. Vom Treu bleiben, selbstfinden und Mensch sein

„Du kannst stolz auf dich sein!“

„Aber auf was soll ich denn stolz sein?“ fragt sie mich und ich blicke in ihre wunderschönen großen braunen Augen. Selten haben wir so ehrliche Gespräche an einem Nachmittag in einem kleinen Café mit runden Tischen und kleinen Blumenvasen vor uns geführt. Selten sah ich ihr so sehr an, dass es ihr einfach nicht gut geht. Ich will für sie laut weiterdenken, will sie aufheitern, will sie unterstützen und kann den Drang, das Problem auf den Tisch zu bringen, an ihren Augen ablesen.

Ich weiß gar nicht wann wir anfingen zu vergessen, auf jeden Schritt den wir schaffen stolz zu sein. Auf das Mensch, Frau, Freundin, Mutter, Tochter oder Angestellte Sein. Auf alles. Irgendwie muss jetzt doch immer alles größer und besser sein. Wir wollten uns doch lösen vom Status, vom großen Haus, vom Auto und vom Big Deal im Job. Wir wollten doch nicht mehr das sein, was viele immer nur aufbauten, um den Schein zu wahren? Wir wollten doch für uns leben, uns entdecken und glücklich sein mit dem, was wir gerade haben, ohne uns zu bedauern für das, was hätte sein können oder hätte sein sollen. Und vor allem nicht für die Meinung anderer.

„Nein,

ich bin nicht stolz auf mich- weil ich das alles nicht schaffe. Mir sind diese bescheuerten Autos, Kinderwagen, Hausgedanken und Eheversprechen egal. Ich traue mich nicht zuzugeben, dass es zu viel ist. Zu viel fitter sein, zu viel mehr Likes haben, zu viel immer informiert sein, zu viel immer dabei sein.

Ich schaffe es nicht, dem Anspruch der Frau zu entsprechen, der mir überall entgegenkommt: Immer gut gekleidet, top durchtrainiert, die Haare perfekt gestylt, drei Abschlüsse, zwei entspannte Kinder, glückliche Beziehung, wunderschön eingerichtete Wohnung, immer ein aufgeräumtes Haus und nie ein Fleck auf der Kleidung. Dabei immer gut gelaunt, top informiert, politisch versiert (aber nicht zu viel), sprachgewandt und doch das nette Mädchen von nebenan geblieben. Stay real! Aber ohne Gefühle und dem echten Leben bitte. #Lifegoal

Ich will zu keinem Monster mutieren, bei dem alles von außen betrachtet wunderbar glatt läuft. Weil wir es ja müssen…“

Ich verstehe sie und kenne den Druck. Manchmal kommt es einem so vor, als könnten alle anderen den Alltag mit einer simplen Handbewegung wuppen. Alles sofort erledigt, alles kein Problem. Aber wir wissen doch, tief in uns drin, dass wir Menschen sind und alle einmal aus dem Ruder laufen, das Leben nicht im Griff haben, zu spät kommen, das Shirt einsauen, die EC Karte liegen lassen, durchdrehen, heulen und dann wieder lachen. Niemand kann all das schaffen, das sollte niemand vorspielen müssen. Aber es wird nicht gern gesehen. Es ist nicht In zu sagen, dass ich das nicht schaffe. Wenn wir das tun, liegt es ja doch oft an uns selbst. Wir müssen mehr an uns arbeiten. Du musst nur den richtigen Sport machen, dem richtigen Mann begegnen, die richtige Entscheidung treffen und die richtige Kleidung tragen. Wer etwas nicht schafft, der arbeitet nicht genug an sich. Du musst an dir etwas ändern, an deiner Person, Figur, Einstellung und deinem Leben. Dann klappt das auch alles.  Zumindest vermitteln mir das Bücher, Sprüche, Unterhaltungen und oft genug auch andere Frauen.

„Ja ja!

Wenn ich es nicht packe und darüber spreche, bekomme ich kein Verständnis, sondern bescheuerte Ratschläge, wie ich mich ändern kann, dass es dann doch alles klappt, wie es mir vorgeschrieben wird. Aber ein fucking healthy drink rettet nicht meine Figur und ein Buch nicht meine Ehe. Mehr Sport, mehr Anstrengung und mehr von sich selbst aufgeben bringt mich nicht an das Ziel, das ich gar nicht erreichen will. Ich weiß, ich darf das nicht ansprechen. Es ist doch alles immer so wundervoll. Nein, manchmal ist alles auch ziemlich kacke. Ziemlich oft sogar. Was bin ich dann für die Anderen wenn ich das zugebe und anspreche? Schwach, faul, nicht engagiert genug, zu ungebildet, zu langweilig, zu unsexy, zu nicht vorzeigbar als Freundin. Ich darf als Frau nicht zeigen, dass ich nicht alles schaffe, große Macken habe, Fehler mache und auch nur ein Mensch bin.

Das setzt mich unter Druck, das macht mich mürbe- das macht mich so verdammt wütend.“

Ich nicke und schweige eine Weile vor mich hin. Das Café hat sich geleert, nur ganz leise nehme ich die Kellnerin zu meiner Linken wahr, die Gläser einräumt. Ich blicke wieder zu meiner wunderschönen Freundin, die gar nicht weiß wie toll sie gerade ist und wie ich ihre Ehrlichkeit schätze.

Vor mir darfst du das alles sein. Wir müssen aufhören uns vorzustellen, was andere von uns denken. Es ist eh selten gut, dafür viel zu oft gedanklicher Abfall. Wichtig ist, was du von dir hältst. Du schaffst mehr als du glaubst. Wir verlieren schnell den Fokus, sehen das Leben der anderen als besser, größer und wichtiger an und versuchen mitzuhalten. Auf einmal zählt das Wort der Kollegin, die wir sonst ziemlich unklug finden, mehr als das eigene Umfeld oder die innere Stimme. Denn die haben wir übertüncht mit solchen Gedanken. Wir müssten uns selbst viel mehr schätzen und aufhören, die Worte anderer höher zu wichten. Und wir müssen viel öfter darüber reden, was gerade Kacke läuft. Das gehört zum Leben dazu.

Wir brauchen noch einen Kaffee.


Warum ich euch etwas aus diesem Gespräch erzähle? Es gibt eben auch im Leben Momente, die man nicht optimieren, schön reden oder der Umwelt einfach anpassen kann. Das müssen wir auch nicht. Wir müssen nur viel mehr miteinander reden und stolz auf uns sein, als die Vorstellungen Anderer zu erfüllen. Wir beide lernen das gerade.

Alles Liebe

Sei stolz auf dich.

Kommentare

Bisher 12 Kommentare zu “Sei stolz auf dich. Vom Treu bleiben, selbstfinden und Mensch sein”

  1. Anna sagt:

    Uff! Wahre Worte!
    Mit dem älter Werden habe ich eine Sache bemerkt: Freunde, Menschen gestehen sich Mislungenes nicht mehr ein. Es wird so viel schön geredet wie der Wortschatz nur hergeben kann. Und dann wird es langweilig für mich. Nicht, dass ich geil darauf bin ausschließlich Probleme anderer zu hören und mich heimlich darüber zu erfreuen. Aber das ist es was uns doch weiterbringt. Durch Misserfolgen wachsen wir und aus unseren Erfahrungen lernen andere. Leid und Freude wird gleichermaßen geteilt. Wenn man unter Freunden nicht mehr reden kann und wirklich NUR hört wie doch alles so toll sei bla bla – ich könnte kötzen. Wenn ich Sorgen habe, dann „werde ich sie los“. Dann schnappe ich mir meine Freundin und erzähle – danach ist es nicht mehr ganz so schlimm. Hätte ich diese eine Freundin nicht, wäre ich ziemlich alleine. Weil ich mir diese Oberflächlichkeit nicht geben möchte.

    P.S.: Das Selbe gilt natürlich auch für meine Freundin 🙂

    • Franzi sagt:

      Ja ich glaube auch, es liegt an dem nicht auf die Nerven gehen Prinzip. Irgendwie sind wir dann alle schön erwachsen und dann gibt es eben keinen Platz mehr für Zweifel oder Probleme. Klar ist das Quatsch. Aber ich glaube, wir nehmen uns selten Zeit zu zuhören, zu reden und uns auszutauschen. So richtig. Ohne Zeitlimit oder eigene Vorstellungen. Dabei ist es so wichtig sich auszutauschen. Vor allem mit Freunden!

      Alles Liebe

  2. Marie sagt:

    Wunderbar geschrieben. Immer wieder toll wie du meine Gedanken in Worte verpackst. Du bist eine der wenigen Bloggerinnen, die sich noch Gedanken machen und sie ansprechen. Mach bitte weiter so.

  3. Celine sagt:

    Wieder mal so schöne und so nachdenkliche Worte!

    Liebe Grüße und eine schöne Woche
    Celine von http://mrsunicorn.de

  4. Hannah sagt:

    Richtig toll geschrieben. Ich melde mich ja selten zu Wort- aber DANKE.

  5. S. sagt:

    Bin durch auf einen Forenbeitrag auf dich gestoßen. Ich find dich klasse. Mach weiter so.

  6. Jules sagt:

    Mir geht es wie deiner Freundin. Ich setze mich gerade so sehr selbst unter Druck. Ich möchte alles schaffen, aber komme manchmal nicht mehr aus dem Bett. Ich versuche Instagram so gut wie es zu ignorieren. Aber das echte Leben ist ja fast genauso anstrengend.
    Danke für die ehrlichen Worte.

  7. Caro sagt:

    Liebe Franzi,
    wie immer ein wahnsinnig gelungener, mir aus der Seele sprechender Text! Du bringst es einfach wieder exakt auf den Punkt! Ich mag diese Art von dir zu schreiben, gern mehr solche „Geschichten“ aus dem Alltag.
    LG Caro von ouiouimarie.de

  8. Barbarella sagt:

    Liebe Franzi,

    ich bin leider auch so ein Mensch der meint, immer alles hundertprozentig machen zu müssen. Nur nicht zu viele Fehler erlauben. Und bloß nicht an mir selbst zweifeln. Dabei ist das alles ganz menschlich und völlig normal. Mittlerweile habe ich meine Mitte gefunden und weiß, dass ich nicht hundertprozentig sein muss und mir auch mal einen Fehler erlauben darf. Er muss ja nicht die Welt aus den Angeln heben 😉
    Danke dir für diesen tollen Beitrag. Du schreibst immer aus dem Leben gegriffen und darum mag ich dein Blog so gern 🙂

    Ganz liebe Grüße, Barbarella <3

    https://barbarella149.wordpress.com

  9. Bianca sagt:

    Da steckt so viel Wahrheit drin & es tut so gut, dass es auch anderen so geht. Sich dem Druck und Erwartungen von außen zu beugen ist eigentlich eine dumme Idee und doch tut man es immer wieder. Weil es bei anderen so einfach & oft auch richtig aussieht.
    Bei uns ist momentan das Kinder bekommen so eine Thema. Fast alle Freunde im Umfeld sind inzwischen zu einer kleinen Familie geworden. Nur wir eben nicht. Natürlich wollen wir das auch, in manchen Momenten mehr, in machen weniger. Letztendlich ist trotzdem der berufliche Zweig momentan wichtiger für uns. Um eben wenigstens einen Teil vom Leben grob abgeschlossen zu haben und diesen etwas entspannter sehen zu können. Trotzdem wird man oft von Freunden, sicher auch unbewusst, angeschaut und angesprochen als ob man nicht vollständig wäre, als ob unsere Prioritäten falsch liegen würden. „Warum denn nicht alles gleichzeitig? Klappt bei uns doch auch!“ Nein, bei uns eben nicht. Vielleicht schon, wenn wir uns sehr anstrengen, woanders verzichten. Aber das wollen wir eben nicht. Und letztendlich überlegt man nach Abenden mit Freunden und solche immer wieder aufkommenden Themen, ob man nicht zu wenig ist, nicht doch mehr mit mehr Mühe schaffen könnte.
    Der Grad mit dem was man hat glücklich zu sein und sich nicht ständig vergleichen zu wollen, ist in meinen Augen sehr schmal. Letztendlich darf und sollte man aber stolz auf genau das sein, was man bisher erreicht hat und wofür man sich entschieden hat. Mit ein paar Kilos zu viel, ohne Kinder, Flecken auf der Kleidung oder eben mal einer unaufgeräumten Wohnung.

    Vielen dank für deine inspirierenden Beiträge & wahren Worte!

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