Kolumne

Das solide Lebensmodell

1. Oktober 2015 von

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Wenn ich früher über meine Zukunft und über mein Ich sprach dann fing ich an zu träumen. Viel erleben, viel sehen, viel kennenlernen und viel reisen. Als kleine Göre wollte ich zuerst Prinzessin werden, dann Friseurin und mit stolzen sieben Jahren von Herzen Lehrerin für Tiere. Wieso auch nicht?

Das solide Lebensmodell

Meine Kuscheltiere saßen immer brav neben mir und lernten sehr schnell aus der Fibel mit Ulli und Lulu. Irgendwann war da noch etwas mit Bergsteigerin und Inline Skating Profi, was ich aber nach mehreren Stürzen doch lieber wagemutigeren Frauen überließ. Ganz unbefangen hatte ich mir Ziele gesteckt, ohne über den anstrengenden Weg oder Hürden auch nur nachzudenken. Es gab sie einfach nicht, diese Gefühle des Versagens, des Existenzverlustes. Ich wollte einfach etwas machen, was mir Spaß macht. Mit dem Alter wurden die Wünsche mäßiger, weniger abenteuerlich, heimlich immer noch ein wenig exzentrisch, am Ende aber solide. Denn irgendwann muss man sich der Realität, also dem echten Leben stellen. Nach dem Abitur konnte ich nicht mehr über Berge besteigen und Auszeit nehmen erzählen. Alle hatten einen Plan in meiner Stufe, alle wussten wo sie in fünf Jahren sein würden. Also legte ich ihn mir auch zu. Einen guten Lebensplan, mit mäßigen Zielen, denn die Hürden schienen auf dem Papier mit all den aufkommenden Zweifeln doch zu groß für mich. So, dass es passte, dass ich für meine Wünsche Zustimmung und viel Glück erntete an runden Tischen bei diesen üblichen „Ein Jahr nach dem Abitur„- Treffen. Solide war das Wort, was mir immer netter und passender für ein Leben im hier und jetzt im Kopf umherschwirrte. Solide, sicher, gefestigt, angepasst. Ich wollte dazugehören, denn so kann man sich später Träume und Wünsche erfüllen.

Doch welche Wünsche hatte ich noch? Was wollte ich denn jetzt werden, mit diesem Plan, der gar nicht von mir für mich geschrieben wurde? Und woher kamen all diese Zweifel? Was war passiert und wieso machte mich das alles so unglücklich? Ach ja- da war das mit dem Leben, der Wunsch sich der eigene Chef zu sein und ab und an mal wieder Prinzessin spielen zu können ohne skeptische Blicke zu ernten. Also habe ich mich einfach getraut, das Solide abgelegt und bin nun seit zwei Jahren mein eigener Boss. Jetzt muss ich nur noch das Abstreifen, was mich am Weiterführen der eigenen Träume hindert und ich mir dank der konventionellen Vorstellungen meiner Umgebung antrainiert habe: Die Angst zu versagen, nicht gut genug zu sein, nicht solide und abgesichert zu leben- denn das habe ich mir nie gewünscht, das solide Lebensmodell. Ich hoffe auf den Zeitpunkt, an dem ich am runden Tisch, mit all den vergangenen Erinnerungen und Menschen auf die inneren und äußeren Stimmen, verzichten kann. Fingers crossed. Vor was haben wir nur immer wieder Angst? Solide ist eben auch nur ein Wort, wie Schnittlauch.

Liebe Grüße

Kommentare

Bisher 19 Kommentare zu “Das solide Lebensmodell”

  1. Sehr cool und witzig geschrieben! 😀 🙂
    Vor allem der Schnittlauch Vergleich hat mich zum lachen gebracht! 😀 😀

    XX,

    Photography & Fashion Blog

    CHRISTINA KEY
    http://www.christinakey.com

  2. Nadine sagt:

    Ich glaube, dass ist der schönste Text, den ich je von dir gelesen habe! Vermutlich auch, weil er momentan einen Nerv bei mir trifft. Angst ist ein Reflex, der uns vor gefährlichen Situationen schützen soll. Allerdings haben wir wohl ein Stück weit verlernt Situationen richtig einzuschätzen. Denn was ist schon das schlimmste was passieren kann, wenn man den unsoliden Weg wählt? Vom Weg abzukommen? Selbst wenn, dann landet man vielleicht auf einem anderen Weg, oder einer viel befahrenen Straße auf der Überholspur, vielleicht landet man aber auch auf einem Sonnenblumenfeld 😉

  3. Nilishi sagt:

    Ein wirklich guter Text, den ich sehr gut nachvollziehen kann. Manchmal muss man einfach machen, und die Hürden außer Acht lassen, denn es gibt oft viel mehr zu gewinnen als zu verlieren.

    Liebe Grüße,
    Nili von Mindbroken

  4. Kathi sagt:

    Das ist ein schöner, beruhigende, einfühlsamer Text, in dem ich mich wiederfinden konnte. Solide bedeutete in unserer Gesellschaft nun mal Sicherheit. Außerdem wird nur erwartet was längst bekannt ist und neuen Wegen wird skeptisch begegnet. Manchmal vergisst man dabei, dass man nur einmal lebt und dieses Leben einem alleine gehört. Dann kommt die Unglücklichkeit. Aber ich fürchte das gehört einfach dazu zum eigenen Weg. Das Leben ist eben nicht immer ein Ponyhof.

    Liebste Grüße
    Kathi
    the constant efforts

  5. Sarah sagt:

    Ein wirklich schöner Text von dir, der mir gerade aus der Seele spricht. Ich beende auch gerade mein solides Studium, von dem ich im Nachhinein sagen muss, dass es nie das war, was ich wollte, von dem es aber von meiner Umwelt ausschließlich Zustimmung gab. Allerdings weiß ich für mich schon, dass ich den für mich vorgesehenen soliden Weg nicht lebenslänglich einschlagen werde. Und dein Text bestärkt mich darin 🙂

  6. Ich kenne das auch zu gut – habe mich dazu gezwungen etwas anständiges zu lernen und hab mich selbst damit Tod unglücklich gemacht.
    Inzwischen sehe ich das anders und entspannter, hole mein Abitur nach und habe noch keine genaue Vorstellung davon was ich dann studiere. Das Leben verläuft eh nicht nach Plan …

    Einfach leben und sich wohlfühlen.

  7. Jessy sagt:

    Und wer mag schon Schnittlauch? 🙂
    Toller Text. Zweifel gehören aber einfach immer dazu und sind in meinen Augen auch wichtig. Man darf sich von ihnen nur nicht beeinflussen lassen.

    Liebe Grüße
    Jessy
    http://www.sinnesengel.com

  8. Susi sagt:

    Ein toller Text! Ja genau das bewegt mich auch schon lange. Und ich liebe es, wenn ich manchmal (passiert leider nur sehr selten) tatsächlich Leute treffe, die noch große Träume haben, und sich auch trauen diese laut zu vertreten. Hauptsache, man hat Spaß am Leben! 🙂

    Liebste Grüße

  9. Sissi sagt:

    Toll geschrieben! Ich bin in der Oberstufe und bei mir gibt es auch so viele die schon wissen was sie später unbedingt machen wollen. Und ich weiß es leider immer noch nicht… Nächstes Jahr steht erstmal ein Praktikum an, wo ich mich jetzt langsam drum kümmern muss. Da kam dein Text genau richtig und hat mir auf jeden Fall Mut gegeben! Danke!

    Liebe Grüße
    Sissi

    http://sissi-chic.blogspot.de

  10. Caterina sagt:

    Sehr schön geschrieben. Jeder muss für sich entscheiden was er machen will, und dabei glücklich sein. Schön, dass du dich nicht hast Abbringen lassen und deinen eigenen Weg gefunden hast.

    LG Caterina

    http://caterinasblog.com

  11. S. sagt:

    Toller Text! Wirklich schön geschrieben.

    Liebe Grüße
    S.
    http://www.cappuccinocouture.blogspot.de/

  12. Ina sagt:

    Sehr schön geschrieben! Ich muss schon sagen, dass wirklich jeder für sich entscheiden soll, was er wirklich will, worauf er nicht verzichten kann, und was er unbedingt erreicht haben will. Ich finde es richtig gut, dass du diese Entscheidung auf eigenen Beinen zu stehen, dein eigener Boss zu sein, getroffen hast, und auch zufrieden damit bist!

    Mach weiter so! 🙂

    Lieber Gruß
    Ina von http://www.ina-nuvo.com

  13. Leonie sagt:

    Du hast ja so Recht. Ich finde es auch wirlich toll, dass du das für dich so gut geschafft hast. Ich denke, dieses Thema ist für jeden mindestens einmal im Leben eine wirkliche Herausforderung.
    Liebe Grüße
    Leonie

    Follow The Daisies

  14. Any sagt:

    Ein absolut wundervoller Text, der zum Nachdenken anregt. Nach dem Abitur stand ich da und wusste eigentlich gar nichts, war planlos. Inzwischen glaube ich, dass das manchmal nötig ist, um sich wieder an seine Träume zu erinnern und den Mut zu fassen, diese Schritt für Schritt anzugehen. 🙂
    Liebst,
    Any | Echo Of Magic

  15. Anita sagt:

    Bravo, ein wirklich toller Beitrag und so bewegend geschrieben!

    http://www.uneprisedeluxe.com

  16. Petra sagt:

    Ich bin mit fast 50 ausgebrochen aus den Erwartungen und ihrer Erfüllung. Von „solide getrennt darf ich das Leben und vor allem mich selber noch einmal ganz neu kennen lernen. Ein spannender Weg! Angst gehört selbstverständlich bisweilen dazu. Sie ist nützlich, wenn ich allzu sorglos einfach nur Prinzessin bin und hilft mir, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Richtig für mich! Nicht für den Weg, der solide wäre. Traut Euch, Ihr Menschen! Vertraut auf Euch selber. Das kann gar nicht falsch sein.

    Danke für den schönen Text, in dem ich selber ganz schön viel von mir selber gefunden habe.

  17. Marika sagt:

    Sehr inspirierend. Danke 🙂

  18. […] Woche, hat mich aber dennoch so begeistert, dass ich ihn direkt integrieren musste. Ich liebe Franzis Kolumnen, da sie stets auch ernste Themen mit Witz & Charme zu verpacken weiß. Dieses Mal ging es um […]

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